Graf Talerhand
Vor langer, langer Zeit lebte im heutigen Wironmar ein Graf. Dieser Graf besaß Reichtümer, die selbst die größten Zwergenkönige eifersüchtig werden ließ. Der Graf war ein guter Geschäftsmann und so wanderte eine klingende Münze von seiner Hand in seine Schatzammern, die so groß waren wie drei Reiterställe. Wegen seines unermesslichen Reichtums nannte man den Grafen „Talerhand“ und man sagte, dass es im ganzen Reich keine Münze gab, die der Graf noch nicht in Händen gehalten haben soll. Den Reichtum aber verdankte Talerhand nicht nur den fruchtbaren Weiden und den erzreichen Bergen, sondern auch den Großen Fluss auf dem die Waren transportiert werden konnten.
Der Graf liebte sein Land und dessen Einwohner, er sorgte gut für sie, und das Volk liebte ihn. Und dennoch vermochte nichts Talerhand glücklich zu machen, denn vor einige Jahre davor hatte er seine Frau zu Grabe tragen müssen. Allein seine einzige Tochter vermochte dem alternden Grafen Frohsinn in dessen trauriges Leben bringen. Er liebte sie sehr, und er lebte glücklich mit ihr auf der heimatlichen Burg.
Doch der Reichtum des Grafen brachte ihm viele Neider und Missgünstige ein, viele trachteten nach seinen Schätzen. So kam es, als die Tochter eines Nachmittages im Wald auf Beerensuche war, sie von einer Horde Unholden überfallen und entführt worden war. Als am Abend die Tochter noch immer nicht aus dem Forst zurückgekehrt war, machte sich der Graf schreckliche Sorgen um sein einziges Kind und er sandte Reiter aus um sie zu suchen. Doch leider kehrten alle mit der gleichen Nachricht zurück, sie hatten das Mädchen nicht finden können. In tiefer Trauer saß Graf Talerhand in seiner Halle, als der letzte der Boten zur Tür herein kam. Er brachte Kunde davon, was in den Wäldern vorgefallen war und er berichtete von einer Forderung der Banditen. Die Gesetzlosen im Walde forderten das gesamte Vermögen des Grafen, keinen Silbertaler mehr oder weniger. Er solle seine Schätze auf Karren laden und diese auf der hölzernen Brücke über den großen Fluss abstellen, wenn er seine Tochter wohlbehalten wiedersehen wolle.
Ohne einen Augenblick zu zögern, befahl Graf Talerhand seinen Dienern und Knechten alle Fuhrwerke anzuspannen, und all seine Reichtümer darauf zu laden. Es dauerte die ganze Nacht, doch im Morgengrauen waren die Wagen bis zum Bersten mit Gold und Silber, feinen Tüchern und wunderbaren Geschmeide beladen. An der Spitze der zwölf Wägen saß der Graf im Sattel seines Pferdes und als die Sonne aufging, setzte sich der Zug in Bewegung.
Beim Fluss angekommen, ließ Graf Talerhand Halt machen und wies die Kutscher ein, die Karren auf die Brücke abzustellen und dann heimzukehren, er selbst blieb im Sattel sitzen.
Als alle Wägen ihren Platz gefunden hatten und die Fuhrleute verschwunden waren, da kamen die Banditen aus dem Unterholz des fernen Ufer. Laut johlend und die Hände sich reibend taten sie ihrer Freude kund und unter ihnen war auch die vermisste Tochter. Der Graf forderte die Unholde mit fester Stimme auf, ihm das geraubte Kind zurückzugeben. Da lachten sie nur und riefen, er solle sie sich doch holen kommen.
Doch als Graf Talerhand seinem Pferd die Sporen geben wollte, da packte einer der Männer das Kind an den Haaren und warf es in die reißenden Fluten des Flusses. Entsetzen packte den Grafen als er seine Tochter hilflos in Wellen ertrinken sah. Mit einem Stoßgebet an die Götter und an den Flussvater schwang er sich aus dem Sattel um seinem Kind zu Hilfe zu eilen. Die Räuber unterdes waren nun auf die Wagen geklettert und schickten sich an mit der Beute davon zu machen.
Und als Graf Talerhand, immer noch den Flussvater um Beistand flehend, das Ufer erreichte, da schwoll das Wasser zu einer Flut heran und die Wellen begannen wild zu toben. Angsterfüllt wich der Graf zurück, bangend vor Angst um sein Kind und zur Hilflosigkeit verdammt.
Das Tosen der Fluten wurde immer lauter, es übertönte sogar das Jubelgeschrei der Banditen auf der Brücke. Und plötzlich erhob sich eine gigantische Welle die das Flussbett herabrauschte und laut tosend über der Brücke brach. Der Mahlstrom riss alles mit sich, Räuber, Karren, Zugtiere, selbst die Brücke vermochte nicht dem Zorn des Flusses standzuhalten.
Da erkannte der Graf, dass seine Tochter für immer verloren war und weinend sank er am Ufer nieder. Dort kniend sah er eine Gestalt aus den Fluten entsteigen, sie trug ein türkisblaues fließendes Gewandt, als ob das Wasser selbst Kleindung war, welches an einer Schulter geschlossen wurde. Das Gesicht war nicht klar erkennbar, denn auch in ihm spiegelten sich die Fluten wieder, doch trug die Gestalt einen gischtweißen Bart und in der einen Hand hielt sie einen Dreizack. Der Flussvater! Er war der Gebieter über den Großen Fluss, und in der anderen Hand trug er die Tochter des Grafen. Behutsam legte er dem besorgten Vater das Kind in die Arme. Sie war wohl auf, und Graf Talerhand drückte sie fest an sein erleichtertes Herz. Doch als er auf sah um dem Flussvater zu danken, war dieser bereits verschwunden, und der Große Fluss zog wieder friedlich seine Kräusel.
Der Graf, glücklich sein Kind wieder zu haben, lebte nun fortan vollkommen mittellos aber voller Frohsinn im nahen Dorf, denn die Bauern gewährten ihnen gerne Unterschlupf. Seine Reichtümer sah der Graf aber nie mehr wieder, so liegen sie noch heute am Grund des Großen Flusses, den wir auch als Talerand kennen.