Wie der Magier den Sternenhimmel in sein Heim holte

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Einst lebte ein alter Magier. Er bewohnte ein uraltes Haus, das zuvor seinem Vater, und davor dessen Vater, und davor dessen Vater und so weiter, gehört hatte. Dem Mann war die Liebe zum Lesen und zu Büchern in die Wiege gelegt worden, denn so wie er das Haus von seinen Ahnen ererbt hatte, hatte er auch deren Vorliebe zum geschriebenen Wort von ihnen übernommen. Er konnte sich glücklich schätzen, denn er nannte viele, viele Bücher sein Eigen, denn er hatte eine sehr große Bibliothek. Wenn er sich nicht gerade mit seinen Studien beschäftigte, verbrachte er die Tage mit Lesen. Doch wenn der Abend kam, wurde der Magier traurig. Da das Licht schwand, konnte er nicht mehr weiter in seinen Büchern blättern. Nur zu gerne hätte er auch die Nacht durchwacht, mit der Nase tief in den Schriften. Natürlich hätte er einfach eine Fackel oder Öllampe entfachen können, doch hatte er zu große Angst, dass das Feuer auf Papier und Pergament überspringen und damit seine kostbare Bibliothek in Brandt stecken könnte. Darum musste er jeden Abend seine Lektüre beenden.

Eines Abends, als gerade die Sonne am Horizont versunken war und er die Büche sorgsam in den Regalen verstaut hatte, trat der Magus an das Fenster und beobachtete traurig wie das Licht des Tages schwand. Als die ersten Sterne am Firmament erschienen, dachte er bei sich „Ach, könnte ich euch nur von dort oben auf Feruns Mantel herabnehmen und an die Decke meiner Bibliothek heften. Dann würdet ihr mir die Stube erleuchten und ich könnte auch in der Nacht weiterlesen.“ Stumm beobachtete er die glimmenden Punkte am finsteren Himmel, wie so dort oben glitzerten. Doch, was war das? Nicht alle standen still an einem Ort, einige tanzten, sprangen und umkreisten einander. Da war der Magier verblüfft, kein Buch hatte ein solches Verhalten je beschrieben. Wie konnte das bloß sein? Ungläubig rieb er sich die Augen und sah näher hin. Da erkannte er seinen Irrtum. Die tanzenden Lichtpunkte waren gar keine Sterne, sondern kleine Glühwürmchen, die fröhlich in der Nachtluft spielten. „Die Sterne kann ich nicht vom Himmel in meine Kammer bringen“, rief der Magier da verzückt aus. „Aber euch kann ich!“ Flinken Schrittes huschte er in die Küche und kehrte mit einem Topf voll Honig zurück. Damit kletterte er auf die Leiter, mit der sonst die Regale erklomm, und bestrich die Decke der Bibliothek mit dem goldenen Sirup. Als er fertig war, trat er an das Fenster und rief: „Kommt, ihr Sternchen, seid meine Gäste und speist.“ Die Glühwürmchen ließen sich nicht zweimal bitten, und alle flogen durch das offene Fenster hinein in die Kammer. Hungrig setzten sie sich an die Zimmerdecke und begannen vom süßen Honig zu naschen. Glücklich schleckend begannen die kleinen Tierchen zu leuchten und erfüllten den Raum mit einem herrlichen, gelben Licht, so hell, dass der alte Magier in Ruhe weiterlesen konnte. Zufrieden setzte er sich in seinen Ohrensessel und widmete sich wieder den Schriften.

Von diesem Tage an bestrich der Magus jeden Abend die Zimmerdecke seiner Bibliothek, öffnete den Glühwürmchen das Fenster und las unter seinem eigenen Sternenhimmel bis spät in die Nacht hinein.