König Erkenbrandt im Willensteiner Wasserfall
Im Herzen des Reiches liegt das Fürstentum Villgarach, an deren Ostgrenze sich die Sarnbruchberge erheben, gesäumt von einem breiten Waldgürtel. Die Landschaft ist weit und unwegsam und vielerorts weiß man von bösen Geistern und Irrlichter zu berichten, die unachtsame Bauern und Fremde in den Wäldern in die Irre führen. Nur selten sieht man solche fehlgeleiteten wieder. Jene aber, die ihren Weg wiederfinden, berichten von tanzenden Lichtern und neckischen Lachen in der Nacht. Auch erzählt man sich, dass immer wieder Kinder von den bösen Feen aus ihren Betten in den Wald gelockt werden. So geschah es auch um das Dörflein Willenstein an den Füßen der Berge im Walde. Die Bevölkerung lebte vom Bergbau und der Holzkohleherstellung. Den Menschen ging es gut, doch sie fürchtete aber die Geister des Waldes, deswegen hielten sie sich stets auf den Wegen und hielten sich an seltsame Bräuche. So legten sie Strohpuppen in die Wiegen, in der Nacht, in der ein Kind zur Welt kam, oder zogen zur Sonnwende einem Hammel Kleider an und treiben ihn in den Wald, dass die Feen Puppe oder Vieh nahmen anstatt der Kinder. Doch die Spukgestalten wurden immer dreister und immer mehr Kinder verschwanden, und immer öfter führten Wege in die Irre. Da riefen die Bauern ihren König zur Hilfe, er möge doch den schaurigen Treiben Einhalt zu gebieten. Tage später kamen dann viele Reiter ins Dorf, an deren Spitze König Erkenbrandt mit dem roten Bart. Siegessicher zogen die Ritter in den Wald. Doch bald mussten sie feststellen, dass ihre Stahlschwerter hier nicht wirkten. Von den zwanzig Soldaten, die ausgezogen waren, kehrten nur sieben zurück, unter ihnen König Erkenbrandt. Der König war aber ein kluger Mann und erkannte, dass er mit Waffen nichts ausrichten konnte, und dass irgendetwas die Feen aufgebracht hatte. So legte Erkenbrandt seine Waffen ab, und schritt alleine in den Wald. Er musste gar nicht lange suchen, da erschienen die Irrlichter in der Ferne und lockten ihn mit süßlichen Klängen. Der König war aber weiße genug, nicht blindlinks ihnen nachzulaufen, sondern näherte sich vorsichtig und achtete auf jeden seiner Schritte. Doch als er zu nahe war, verschwand der Geist. Das wiederholte sich noch weitere Male, bis er König eine große Lichtung mit Wasserfall kam. Dort wo sich die Fluten tosend in den Teich ergossen, tollten sich ein dutzend Feen und Geisterwesen. Langsam trat der König aus dem Unterholz hervor, denn er wollte die Feen nicht erschrecken, zum einen wollte er nicht, dass sie sich fürchteten und flohen, und noch weniger wollte er, dass sie sich auf ihn stürzten und er fortan auch als verschollen galt. Zum Glück traf beides nicht ein, die Irrlichter betrachteten ihn nur neugierig und fragten in aus, was er denn hier wolle. Mit ruhiger, fester Stimme erklärte König Erkenbrandt seine Anwesenheit und die Lage der Willensteiner. Da antworteten die Geister, dass seit die Menschen hier seien, de Feen dauerndes Schaben in der Erde hörten, und ihnen das Atmen schwer fiel. Der König erkannte, dass es sich bei dem Weiher hier um die Heimstatt der Geisterwesen handelte, dass die Köhler die Luft verpesteten und die Bergmänner zu nahe an dem Felsen schürften. Er erklärte den Gestalten seinen Verdacht, und schlug vor, den Köhlern zu befehlen ihre Meiler anderorts aufzustellen und den Bergleuten das Graben in Richtung Wasserfall zu verbieten, wenn die Irrlichter und Geister versprachen, niemanden mehr in die Irre zu führen oder zu entführen. Damit waren die Feen einverstanden, und König Erkenbrandt versprach Weiher, Wald und all deren Bewohner, auch die Menschen, zu schützen. Zum Zeichen der Gültigkeit des Vertrages schliffen die Geister ein steinernes Abbild des Königs und stellten die Statue auf die Felsstufe direkt im Wasserfall. Noch heute kann man, wenn man den Teich findet, das Bildnis des König Erkenbrandts im Willensteiner Wasserfall bewundern, jedoch durch die Jahrhunderte aller einstigen künstlerischen Feinheiten beraubt. Heute erinnert nur noch die Form des mittlerweile glatt geschliffenen Felsen daran, dass einst der König mit zur Abwehr hoch erhobener Hand hier im Wasser stand. Nach diesem Ereignis waren nie wieder Menschen in den Wäldern verloren gegangen oder Kinder entführt. Im Gegenteil, viele berichten, dass sie ein freundliches Irrlicht aus dem Wald herausgeführt hatte. All jenen, die sich aber mit Axt oder Spitzhake dem Walde nähern, erscheint ein hochgewachsener Mann mit rotem Bart und ihnen den Weitermarsch verwehrt, König Erkenbrandt.