Wie der Holunder zu seinem Namen kam

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Vor vielen, vielen hundert Jahren da lebte einst ein König. Nichts vermochte ihm Freude zu bereiten, kein Narr konnte ihm ein Lächeln auf die Lippen zaubern, kein Tanz ihn vergnügen und keine Jagd fröhlich stimmen. Niemand hatte den König je glücklich gesehen. Nicht nur, dass er sich an nichts erfreute, ständig hatte er auch an allem etwas auszusetzen. Die Musik war zu langsam, im Wald war es zu laut zum Jagen, nie war er zufrieden. Am schlimmsten war es beim Essen, nichts schmeckte dem König, und ständig entließ er seine Köche. Doch der König verlangte immer nach dem Besten des Besten. Der Haushofmeister wurde mit der Zeit immer verzweifelter, weil niemand mehr für den König kochen wollte. So lud der treue Diener des Monarchen viele Köche aus fernen Ländern ein, für den König zu kochen, und wer es schaffte ihn zu erfreuen, dem sollte das halbe Reich zum Geschenk werden. In Scharen kamen Zuckerbäcker, Meisterköche und Lebzelter und bei sich trugen sie die wundervollsten Köstlichkeiten, die man sich vorstellen konnte. In Schüsseln und Tellern, in Körben und Tüchern eingeschlagen brachten sie dem König das Köstlichste, was ihre Zunft zu bieten hatte. Siegessicher waren sie alle, doch jeder einzelne kam mit gesenktem Haupt zurück, denn keine Speise war dem Herrscher gut genug.

Zu dieser Zeit lebte ein junger Bäcker namens Under in einem Dorf an der Straße hoch Palast. Und wie jeden Morgen stand Under in der Backstube und rührte Teig. Da kam ein Fremder vorbei und streckte seinen Kopf durch das offene Fenster. Er trug eine weiße Schürze und eine weiße Haube, und in Händen hielt er einen mit einem Tuch bedeckten Korb. „Guten Morgen, der Herr! Wo geht es denn zum Schloss, bitte?“, fragte der Fremde freundlich. „Einen guten Morgen auch Euch.“, antwortete Under, klemmte sich die Teigschüssel unter den Arm und ging zum Fenster um den Mann den Weg zu weisen. „Einfach der Straße nach, über die Brücke und dann nach rechts.“ Der Fremde nickte. Missgünstig erblickte er die Schüssel in Unders Arm. „Ihr wollt auch dem König sein halbes Reich gewinnen? Vergesst es, es gehört mir!“, blaffte er und alle Freundlichkeit war gewichen. Mit der freien Hand griff er nach dem Strauch neben dem Fenster, zupfte daran und warf die abgerissenen weißen Blüten in den Teig. „Ein Mitbewerber weniger!“, höhnte er und stapfte Richtung Schloss davon.

Betrübt blickte der junge Under in die Schüssel. Es war richtig, der Teig war ruiniert. Doch als er ihn gerade aus dem Fenster schütten wollte, da stieg ihm ein süßlicher Duft in die Nase. Schnuppernd suchte der Bäcker nach dessen Quelle. Da erkannte er, dass der Strauch mit den weißen Blüten, die der Fremde in den Teig geworfen hatte, so köstlich süß duftete. Da kam Under eine Idee. hurtig schürte er ein Feuer, setzte einen Topf mit Fett auf und wartete bis es zu sieden begann. Anschließend fischte er die Blüten aus dem Teig und warf sie in das heiße Fett. Als der Teig goldgelb gebacken war, schöpfte er sie heraus und bestreute sie mit Zucker, sodass sie weiß waren wie zuvor. Sie rochen herrlich, und als Under sie probierte, schmeckten sie sogar noch besser.

So machte sich Undar daran, zupfte weitere Blüten von dem namenlosen Strauch, tauchte sie in den Teig und bug sie im Fett heraus. Mit weißem Zucker bestreut gab er die Blüten in einen Korb, deckte ihn mit einem Tuch zu und machte sich auf den Weg zum Schloss. Unterwegs kam ihn der Fremde mit gesenktem Haupt entgegen, auch ihn hatte der König abgelehnt. Als Under vor den König trat, musterte dieser ihn streng. Der Haushofmeister kündigte ihn an. „Majestät, das ist Under aus dem Dorf. Er bringt euch…“ „Ähm… Wölkchen.“, antwortete er Bäckermeister. Und bot dem König den Korb an. Dieser griff hinein und zog eine gebackene Blüte heraus. Unbeeindruckt biss er hinein, doch mit einem Schlag änderte sich seine Mine. Sein harter, gar finsterer Blick wich einem sanften, zufriedenen Lächeln, das immer breiter wurde. „Wundervoll, Under, wundervoll!“, sagte der König lächelnd und nahm sich noch ein weiteres Wölkchen. „Du hast geschafft, was noch keiner vermochte. Dir soll mein halbes Königreich gehören.“ „Majestät, ich bin ein einfacher Bäcker und wurde nicht zum König erzogen wie ihr. Ich weiß nicht, wie man regiert und herrscht. Ich danke für Euch für Eure Großzügigkeit, aber ich möchte das Land nicht.“ Da wurde der König wütend und ließ Under in den Kerker werfen. Und fortan schmeckte, das was dem König serviert wurde noch weniger. Auch vermochte keiner der Köche im Schloss, die gebackenen Wolken Unders nachzumachen. Keine schmeckte so wie die des Bäckers. Als man dem König nun zum siebten Mal falsche Wölkchen vorsetzte, da wurde der Monarch wütend. „Hol Under!“, schrie er dem Haushofmeister entgegen. „Hol mir sofort Under!“ Der Diener tat wie ihm befohlen ward und schickte nach dem Bäcker. Dieser wurde in die Küche gebracht und bug erneut die Blüten aus dem Fett.

Alleine deren Geruch konnte den zornigen König besänftigen, und genüsslich kauend sprach er. „Ihr ward der Erste, der mir Freude auf den Tisch bringt. Und wenn Ihr schon nicht ein König sein wollt, dann werdet zumindest mein Leibkoch.“ „Majestät, gerne werde ich jedes Mal für Euch kochen und backen, wenn Ihr nach mir ruft. Aber ich bitte Euch, lasst mir meine Backstube im Dorf unten, es gibt keinen anderen Bäcker als mich und ohne Brot stünde es schlecht um die Leute.“, erwiderte Under. „Euch sei die Bitte gewährt.“

Under lebte weiterhin im Dorf nahe dem Schloss, und seine Kunst zu Kochen und Backen wurde bald überall im Land bekannt, denn schließlich hatte er dem König ein Lächeln abgerungen. Immer wieder hallte der Ruf „Hol Under“ durch das Schloss, sodass man den Wölkchen, den Blüten und dem Strauch einen neuen Namen gab, Holunder.