Die Großmutter vom Weilerbichel

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Einst lebte eine Bauernfamilie in der Grafschaft Tyrach, in der stolzen Herandmark. Der kleine Hof warf gerade genug ab um den Bauern, seine Frau und die sieben Kinder über die Runden zu bringen. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit der Familie. In einem trockenen Sommer überquerten die Dunkelelfen den Löwen, und brachten den Krieg in die Herandmark, und der Fürst rief zu den Waffen um das Land zu schützen. Immer wieder wurden aus den Dörfern die Wehrfähigen zusammengezogen, so auch den Bauer, er sollte nie mehr wieder heimkehren. Tief war die Trauer über den Verlust des Familienvaters. Doch Kummer hatte das ganze Land, denn die Trockenheit war zu einer Dürre angewachsen, die das Korn auf den Feldern verdorren, die Obstbäume kahl und Gras und Heidekraut dürr werden ließ. Krieg und Trockenheit ebneten den Weg für eine Hungersnot, kaum jemand hatte noch zu essen, und als der Sommer einem nassen Herbst und schließlich einen harten Winter wich, kannte das Leid kein Ende mehr.

Die Mutter der sieben Kinder war auch erkrankt und welkte dahin und in einer besonders kalten Nacht hauchte sie ihr Leben aus. Die Großmutter der Kinder nahm sich ihrer sieben Enkel an und holte sie in die Ortschaft Weilerbichel, wo die Alte lebte. Die Greisin hatte ein lahmes Bein und der Rücken war krumm gebückt von langen Jahren der harten Arbeit. Liebevoll kümmerte sie sich um die Kleinen, und als der Frühling kam, bestellte auch das kleine Feld hinter ihrem Haus. Viel war es nicht, was die Großmutter ernten konnte, und auch bei den sonst so hilfreichen Nachbarn war wegen der Hungersnot nichts zu bekommen.

Bald wusste die Alte keinen Ausweg mehr, das Wenige das sie hatte, reichte nicht aus um den Hunger der kleinen zu stillen. So setzte sie sich mit den Kindern unter den alten Weidenbaum am Hügel in der Mitte des Dorfes und sang für sie. Sie sang von den alten Geschichten der Mark, von den Helden der Vergangenheit, den Göttern, und von den tiefsten Wurzeln hoch zu den höchsten Gipfeln der Berge. Sie sang um ihre Enkel von dem beißenden Hunger abzulenken. Sie berichtete von den großen Tagen der großen Fürsten, sie sang vom Morgen bis zum letzten Licht des Tages, bis ihre Kehle trocken war. Durch die Lieder vergaßen die Kinder für eine Zeit lang ihre Sorgen und den Hunger.

So kam und ging der Sommer, und auch das nächste Jahr verflog, und immer wenn die Kinder traurig waren, oder Hunger litten, setze sich die Großmutter unter den Weidenbaum und sang. Und in die Lieder stimmten der Wind und der Baum mit sanftem Rauschen mit ein. Die Jahre gingen dahin, und ein Kind nach dem anderen verließ den Weilerbichel. Als schließlich das letzte ihrer geliebten Kinder aus dem Haus war und seinen eigenen Weg ging, erklomm die Großmutter auf den Hügel und setzte sich unter den Baum. Viele Jahre hatte sie gesungen und gearbeitet um die Kinder zu ernähren und zu unterhalten, jetzt war sie müde. So lehnte sie sich an die alte Weide, schloss die Augen und sang ein allerletztes Mal, sang und bat die Götter ihren Enkeln auf allen Wegen Schutz zu gewähren. Die Weide wusste, dass es der Großmutters letzte Atemzüge waren und voll Trauer senkte sie ihre Äste, nie wieder sollte sie sie heben. Und als die Alte geendet hatte, sank sie zurück in den Ewigen Schlaf. Der alte Baum aber umfing die Großmutter und beide wurden eins, damit sie ein würdiges Grab bekam. Noch heute spendet die Trauerweide im Weilerbichel allen Trost und Zuversicht. So mancher Reisender behauptet in der Borke des Baumes das Gesicht der Großmutter erkannt, oder sie im Rauschen der Blätter singen gehört zu haben.